Dienstag, 30. Dezember 2008

Pluralität und Homogenität als Erscheinungsformen des Religiösen in den USA

Ein kleiner Ausschnitt aus Jochens Praktikumsbericht:

Es gibt wohl kaum ein Land, in dem die Religion eine pluralistischere Erscheinungsform hat als in den USA. Meiner Meinung nach stellt letztlich jede organisierte religiöse Gemeinschaft in den USA eine Art protestantische Freikirche dar (die katholische Kirche ist dabei ausdrücklich eingeschlossen). Freikirche deshalb, weil jede religiöse Gemeinschaft vollständig für ihre eigenen Angelegenheiten zuständig ist und der Staat bei seinen Gesetzen nicht differenziert, ob es sich um einen hinduistischen Tempel oder eine methodistische Kirchengemeinde handelt. Protestantisch deshalb, weil sich durch die strikte Trennung von Kirche und Staat alle Religionsgemeinschaften als Gegenüber zu den staatlichen Institutionen organisieren müssen, aber so grundsätzlich auch eine kritische Position zur jeweiligen Politik einnehmen können.

Die christlichen Kirchen sind in den USA, ebenso wie sämtlich andere Vereinigungen (Moscheen, Synagogen usw.), Anbieter auf dem religiösen Markt. Auch die Deutsche Gemeinde in Washington D.C. muss sich mit ihrem bestimmten Profil in diese Marktsituation einordnen.
Diese Marktsituation führt zu einer großen Pluralität religiöser Erscheinungsformen. Ich möchte an zwei Beispielen dieses Phänomen deutlich machen. Meine Familie und ich haben während der vier Monate des Praktikums in Greenbelt gewohnt, einem kleinen Vorort von Washington D.C. mit ca. 20.000 Einwohnern. Sonntags hätten wir als „amerikanische“ Familie die Auswahl zwischen einem baptistischen oder einem methodistischen Gottesdienst in Greenbelt gehabt. Wir hätten uns aber auch der streng marianisch ausgerichteten katholischen Gemeinde am Ort anschließen können. Oder wir wären statt in den sonntäglichen Gottesdienst in die Sabbatfeier der reformiert-jüdischen Gemeinde am Freitagabend gegangen. Auch die Baha´í-Gemeinschaft am Ort wäre eine Alternative gewesen. Als Familie hätten wir uns wahrscheinlich die religiöse Gemeinschaft gewählt, in der wir uns am wohlsten gefühlt hätten. Oder aber wir hätten jegliche Art des Gottesdienstbesuchs sein gelassen und hätten den freien Vormittag am Sonntag „shoppend“ in der Mall verbracht.
Ein weiteres Beispiel zeigt die Pluralität der religiösen Gemeinschaften, aber auch gleichzeitig ihre Homogenität auf. Auf dem Weg zu einem Pastorentreffen der ELCA (Evangelical Lutheran Church in America) war ich mit dem Auto auf der Hauptstraße Richtung Fairfax unterwegs. Der Pfarrkonvent sollte in der Bethlehem Lutheran Church stattfinden. Die Kirche war direkt an der Hauptstraße gelegen, bot viele Parkplätze und war gut von der Autobahn zu erreichen. Dies alles sind wichtige Standortvorteile, denn Amerikaner sind es gewohnt zu ihrem Gottesdienst auch weite Strecken mit dem Auto auf sich zu nehmen. Diesen Standortvorteil nutzen auch noch ein weiteres Dutzend anderer Kirchen und religiöser Vereinigungen (So gibt es dort auf einer Strecke von vier Meilen die Little River United Church of Christ, die Fairfax Baptist Church, die New Hope Presbyterian Church, die Iglesia Bautista La Gran, die Chabad Lubavitch Synagog, die St. Matthews United Methodist Church, die Korean Methodist Church, die Highview Christian Fellowship Church, die St. Ambrose Catholic Church, die Barcroft Bible Church, die University Church of Christ, die Ambassador Bible Church, die Church of the Apostles und die Christian Science Church). Der Bau dieser Kirchen und Religionsgemeinschaften folgte der gleichen Logik wie der Bau der großen amerikanischen Restaurantketten, die sich ebenfalls in großer Anzahl und Vielfalt an dieser Hauptstraße niedergelassen haben.
Ebenso spielten diese Themen (gute Erreichbarkeit und ausreichende Parkplätze) bei der Anmietung eines Gottesdienstgebäudes für die Deutsche Kirchengemeinde eine entscheidende Rolle. Aus denselben Gründen hat übrigens die zweite deutschsprachige Gemeinde, die Vereinigte Kirche (Innenstadtlage und schwierige Parkplatzsituation), große Schwierigkeiten, neue Gemeindeglieder zu gewinnen.
Da sich die Pluralität auf der Ebene der Kongregationen abspielt, sind die Gemeinden selbst sehr homogen in ihrer Zusammensetzung. Vereinfacht gesagt: man geht dahin, wo man sich wohl fühlt und wohl fühlen tut man sich dort, wo die Menschen ähnlich denken, fühlen und glauben wie man selbst. Dies ist in den USA ein völlig normaler Vorgang und trifft für reformiert-jüdische Gemeinden genauso zu wie für liberal-episkopale.

3 Kommentare:

Alexander Ebel hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Alexander Ebel hat gesagt…

Die Liste der Kirchen auf vier Meilen erinnerte mich an diese sehenswerte Zusammenstellung:
http://www.holytaco.com/2008/08/04/church-signs-that-wont-make-you-go-to-church/
Irgendwie auch nur in USA möglich, das.

Der rothe Faden hat gesagt…

Diese Sprüche sind ein richtiger "Sport" zwischen den Kirchen. Meine Lieblinge in den USA waren:
"No pray makes you an easy prey."
und
"We love and appreciate our pastor"