Dienstag, 2. September 2008
In Gottes Namen?
Amerika und der Rest der Welt sind sich fremd geworden. So fremd, dass sich der Kultusminister der libanesischen Regierung Tarek Mitri darangesetzt hat, seinen Landsleuten Politik und Religion der USA zu erklären. Zuerst auf Arabisch erschienen und später auf Deutsch übersetzt, analysiert Mitri die Rolle der Evangelikalen in der US-Politik der letzten Jahrzehnte. Besonders unter der Regierung Bush soll nun die religiöse Rechte an ihr Ziel gekommen sein, nämlich ihren Einflussbereich bis auf die höchste Ebene im Staat ausgedehnt zu haben.
Mitri macht bei der Analyse der religiösen Geschichte und Gegenwart der USA keinen Hehl daraus, dass er selbst dem liberalen Christentum zugeneigt ist.
Auch für Mitri ist der 11. September der Wendepunkt der jüngeren amerikanischen Geschichte. Dabei fällt allerdings auf, dass er kaum Bezug nimmt auf das Phänomen des internationalen islamistischen Terrorismus. Weiterhin vermeidet Mitri jegliche Bewertung der Rolle des Islam oder anderer islamischer Länder und kritisiert einzig das Handeln der USA. Wahrscheinlich ist diese sehr zurückhaltende Einstellung gegenüber dem Islam seiner Mitarbeit in der libanesischen Regierung geschuldet.
Bemerkenswert ist seine Analyse der säkularisierten Zivilreligion in den USA. Während in Ländern wie Frankreich die strikte Trennung von Kirche und Staat zu einer Abnahme der Religiösität führte, wurde sie in Amerika nur stärker. Die Abwanderung der christlich-protestantischen Religion aus den staatlichen Institutionen führte zu zweierlei Konsequenzen. Zum einen fanden sich die Religion und mit ihr die verschiedenen Konfessionen auf dem „Marktplatz“ wieder, wo Angebot und Nachfrage den Erfolg ausmachen. Zum anderen hat sich in den USA eine entkirchlichte Zivilreligion entwickelt, die einem eigenen Festkalender folgt (Thanksgiving Day, Memorial Day, Amtseinführung des Präsidenten) und Amerika als quasi auserwähltes Land verehrt.
Aufschlussreich zeigt Mitri auch auf, welchen Preis die evangelikale Bewegung für ihren Aufstieg in Politik und Gesellschaft bezahlt hat. Nämlich einen Substanzverlust ihrer Lehre. Früher ging es den Evangelikalen wirklich noch um die Bibel als dem von Gott offenbarten Wort. Auch hielt man Jesus für das Fleisch gewordene Wort Gottes, der am Kreuz gestorben ist für das Heil der Menschen und zur Vergebung der Sünden. Dagegen ist heute, so Mitri, Gott oft nur noch Garant für ein glückliches Leben im Diesseits. Nicht in den Blick kommen bei Mitri Reformbemühungen innerhalb der evangelikalen Bewegung, welche die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit in den Vordergrund stellen.
Insgesamt ist das Buch sehr lehrreich und hilft, viele Zusammenhänge in der amerikanischen Politik und Gesellschaft besser zu verstehen. Wer sich der oben angedeuteten Brille Mitris gewärtig ist, wird von dem Buch viel profitieren.
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